Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter in Österreich sind aufgrund der Corona-Krise besonders stark von Armut bedroht. Zwar ist Sexarbeit eigentlich legal, doch prekäre Arbeitsverhältnisse führen dazu, dass viele Arbeiter der Berufsgruppe keinen Anspruch auf Unterstützungsleistungen der Politik erhalten.

Während in ganz Österreich momentan ein Arbeitsverbot für Sexworker herrscht, zeigt die Ausnahmesituation Lücken in den Prostitutionsgesetzen auf. Die Betroffenen fühlen sich von den Politikern nicht gehört.

Kein Sex während Corona

Seit ersten April ist es klar: Sexarbeit ist in ganz Österreich verboten, auch Hausbesuche sind untersagt. So twittert es die vor fast einem Jahr gegründete Berufsvertretung Sexarbeit Österreich (BSÖ). Das mit den Hausbesuchen hatte zuvor für viel Verwirrung gesorgt. Immerhin gibt es im Bereich der Sexarbeit noch viele Graubereiche und Fragezeichen.

“Zum einen sind wir ja körpernahe Dienstleister so wie Friseure und Masseure. Zum anderen stehen aber die Orte der Ausübung der Prostitution unter den Freizeit-Einrichtungen. Das ist irgendwo ein Widerspruch”, erklärt uns Shiva in ihrem Studio im 16. Bezirk. Seit November hat sie hier keinen Gast mehr empfangen. Besonders hart trifft das etwa ihren Stammkunden Helmut, der zweimal im Monat extra aus Graz anreist. Shiva hat es aber im Vergleich zu vielen ihrer Kolleginnen und Kollegen recht gut getroffen. Weil sie als Sexarbeiterin zu den Neuen Selbstständigen gehört, erhält sie Geld aus dem Härtefallfonds und für ihr Studio bekommt sie einen Fixkostenzuschuss. Anderen in der Branche geht es weitaus schlechter.

Graubereich Sexarbeit

Deswegen hat Shiva im Sommer 2020 auch die BSÖ gegründet. “Die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass es gerade in dem Bereich der Sexarbeit einfach viele Problemlagen gibt. Wir haben gemerkt, dass sehr viele Frauen durch den Rost gefallen sind, wenn es um finanzielle Hilfen geht. Es hat sich gezeigt, dass viele Frauen zum Beispiel keine Steuernummer gehabt haben, wenn sie von Betreibern pauschal besteuert wurden oder keine österreichische Kontonummer hatten. Deswegen konnten sie auch den Antrag auf Härtefallfonds nicht stellen”, erklärt sie.

Dass es während der Corona-Krise viele Graubereiche in der Branche gibt, sieht auch Eva Van Rahden. Sie ist Leiterin des Beratungszentrums Sophie, das zur Volkshilfe gehört und Sexarbeiterinnen in Österreich unterstützt. “Mit den Corona-Verordnungen gibt es auch einen großen Graubereich. Auch uns als Fachberatungsstelle ist es teilweise nicht möglich, eine fundierte juristische Fachmeinung zu erhalten, auf die wir uns verlassen können. Ein Beispiel: Es gibt einen Erlass des Finanzministeriums, der untersagt, dass Pauschalsteuern erhoben werden dürfen. Wir wissen aber, dass das bis jetzt im Lockdown vor Corona immer noch der Fall war. Und die Folge ist, dass es da jetzt eine Gruppe von Frauen gibt, die Pauschalsteuern bezahlt haben, aber damit keine eigene Steuernummer haben. Somit können sie ihr Einkommen nicht nachweisen und fallen durch alle Unterstützungsleistungen”, bestätigt Van Rahden Shivas Argument.

Grundlegende Probleme der Sexarbeit

Etwa 8.000 Sexworker waren vergangenes Jahr in Österreich registriert. Der Großteil von ihnen kommt aus Osteuropa. Viele von ihnen holen sich nun beim Beratungszentrum Sophie Lebensmittelgutscheine und andere existenzielle Notwendigkeiten ab, ein großer Teil holt sich Windeln für seine Kinder. Durch die Corona-Krise sind viele Sexarbeiterinnen in die Armut gerutscht.

Doch die Corona-Krise zeigt auch tiefer liegende Probleme auf, mit denen die Branche zu kämpfen hat. Die Prostitution ist in Österreich durch mehrere Gesetze geregelt. Vieles ist von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich. Schon vor Corona wandten sich viele Sexworker an die Beratungsstelle Sophie, um sich einen Überblick über die Gesetzeslage zu schaffen. “Vielen fällt es schwer, sich in unserem System zurechtzufinden”, erklärt Eva Van Rahden.

“Es gibt neun verschiedene Landesgesetze, die teilweise so unterschiedlich sind, dass man sich nicht mehr auskennt. Was natürlich ein Unsicherheitsfaktor für jene Leute ist, die in unterschiedlichen Bundesländern arbeiten. Wenn ich von Wien in die Steiermark fahre und da sind komplett andere Regeln und ich beachte eine nicht und werde abgestraft, dann ist das auch ein ungutes Gefühl”, weiß auch Astrid. Die 42-Jährige hat im Sommer die Ausbildung der Volkshilfe zur Sexualbegleiterin gemacht. Wirklich arbeiten konnte die Quereinsteigerin aber aufgrund der Corona-Krise in diesem Bereich noch nicht. Sie hofft, dass zumindest nach der Pandemie, Pflegeheime auf sie zukommen, um ihre Dienstleistung für Heimbewohner anzufragen.

Sexarbeit: Stigmatisiert und ausgegrenzt

Sexualbegleiterin, Domina, Prostituierte: Die Sexarbeit ist eine vielseitige Branche, die von unserer Gesellschaft noch immer stigmatisiert und tabuisiert wird. Das zeigt sich auch in der Krisen-Kommunikation. “Ich habe einmal angerufen im Ministerium und habe gefragt, ‘wieso erwähnt ihr uns eigentlich nie?’ Und da kam die Antwort, dass man das Wort Prostitution überhaupt nicht aussprechen könne bei einer Pressekonferenz. Es ist so, dass Politiker sich mit dem Thema einfach nicht gerne öffentlich auseinandersetzen” erklärt Shiva. “Ich glaube schon, dass Sexarbeit eine relativ totgeschwiegene Branche ist, weil sie so stigmatisiert ist. Und, weil es auch für viele mit Scham behaftet ist, darüber zu reden”, findet auch Astrid. Für die beiden Sexarbeiterinnen ist ihre Branche systemrelevant. “Ich finde, dass das unter Care-Arbeit fällt und dass man das vergleichen kann mit pflegerischer und psychologischer Arbeit”, erklärt Shiva.

Zudem wird Prostitution beziehungsweise Sexarbeit immer noch häufig mit Menschenhandel gleichgestellt. Viele Aktivistinnen nehmen weibliche Sexarbeiter als fremdbestimmte, sexuell ausgebeutete Opfer wahr, die durch die Anwendung von Zwang, Täuschung oder etwa Drohung in die Zwangsprostitution gedrängt werden. Eine der berühmtesten feministischen Kritikerinnen der Prostitution ist Alice Schwarzer. “Nur eine Welt ohne Prostitution ist human”, erklärte die “Emma”-Herausgeberin vor wenigen Jahren in einem Interview. Astrid sieht diese Kritik als unangebracht: “Das Problem ist, wenn ich Alice Schwarzer jetzt sagen würde, ich bin Feministin und ich mache das freiwillig, dann würde sie sagen, dass ich so in den patriarchalen Strukturen verhaftet bin, dass ich gar nicht mehr mitkriege, wie ich gezwungen werde und in dem Moment kann ich nicht mehr diskutieren, weil da hat sie mir abgesprochen, dass ich überhaupt noch einen freien Willen habe. Ich finde, dass diese Art von Feminismus den Frauen abspricht, selbst über sich zu bestimmen.”

Soziale Ausgrenzung

In Österreich ist Sexarbeit legal, sofern die Dienstleistungen freiwillig von Erwachsenen angeboten werden. Gesetzlich ist die legale Prostitution klar vom Menschenhandel abgegrenzt. Dennoch werden Sexarbeiter, vor allem aber Sexarbeiterinnen weiterhin an den gesellschaftlichen Rand gedrängt. “Immer wieder kommen Frauen zu uns, die Probleme haben ein Konto zu bekommen, weil Banken ihnen die Konten verweigern”, erklärt uns Eva Van Rahden, die Leiterin des Sophie Beratungszentrums.

Dass vor allem weibliche Sexarbeiter mit Ausgrenzung und Stigmatisierung zu kämpfen haben, weiß auch Nick. Den Callboy aus Frankreich zieht es aufgrund seiner Arbeit auch immer wieder nach Österreich, wo er weniger Hürden überwinden muss. Denn in Frankreich ist die Prostitution verboten, auch abseits der Corona-Krise. Nick weiß: “Ich bin ein weißer, heterosexueller cis-Mann, ich bin privilegiert. Ob ich jetzt auch noch Sexworker bin, spielt da gar keine Rolle. Mir werden kleine Steine in den Weg gelegt, aber sehr wenige. Aber meine Kolleginnen, die in der gleichen Situation sind wie ich, werden als Schlampe abgestempelt.” Von dieser Situation kann Alice Frohnert ein Lied singen – beziehungsweise ein Buch schreiben. Und Letzteres hat sie auch getan. In “Prostitution und Gesellschaft” zieht sie ihre Schlüsse aus ihrer 15-jährigen Erfahrung als Prostituierte in Deutschland, Luxemburg und Österreich. “In Luxemburg wurde ich beschimpft. Da wurden Unterschriften gesammelt, damit ich ausziehe”, erklärt sie uns.

Viele Baustellen auch nach Corona

Die Corona-Krise hat also aufgezeigt, mit welchen Problemen Sexarbeiterinnen hierzulande trotz Legalität immer noch zu kämpfen haben. Die von Shiva gegründete Berufsvertretung BSÖ und auch das Beratungszentrum Sophie werden also auch nach der Pandemie noch viele Baustellen abzuarbeiten haben. Schon lange fordert man Veränderung. Evan Van Rahden etwa sieht es als notwendig, die rechtlichen Graubereiche zu eliminieren und auch dort, “wo die Arbeitsbedingungen einem Angestelltenverhältnis entsprechen, sollten auch Angestelltenverhältnisse gemacht werden, sodass die Frauen auf jeden Fall im sozialen System sind.” Das würde das Problem der Pauschalbesteuerung limitieren. Momentan dürfen Prostituierte nicht angestellt sein. Sie gelten ja als Neue Selbstständige.

Wann Shiva ihr Domina-Studio wieder aufmachen darf, ist momentan noch unklar. Auch lässt sich noch nicht sagen, ob die Politik der Branche der Sexarbeiter künftig mehr Beachtung schenkt. Klar ist aber, dass sich Shivas Stammkunde Helmut bereits den ersten Termin nach dem Lockdown gesichert hat. “Ich freue mich, sie wiederzusehen. Man kann mit ihr über alles reden”, erklärt uns der Grazer am Telefon.


Durch die Corona-Krise sind Sexarbeiterinnen in Österreich einem besonders hohen Armutsrisiko ausgesetzt. Durch das Arbeitsverbot haben viele von ihnen ihr Einkommen verloren und aufgrund prekärer Arbeitsverhältnisse, bekommen nicht alle von ihnen die notwendigen Unterstützungsleistungen der Politik. Das Beratungszentrum Sophie sowie die Berufsvertretung Sexarbeit Österreich sammeln daher Spenden.