Polyamorie, Polygamie, offene Beziehung – eh alles dasselbe, oder? Nein, nicht alles dasselbe. Wir haben uns informiert, und bei der Schwelle Wien nachgefragt, was Polyamorie nun tatsächlich ist und wie und vor allem warum man so lebt und liebt. 

Die Schwelle Wien ist ein Gemeinschaft in Wien, die einen sicheren Raum für Sex-Positivity bietet. Dort finden Seminare und Workshops rund um verschiedene Beziehungsformen, Sex und den eigenen Körper statt.

Was ist Polyamorie?

Polyamorie heißt, dass man mehrere Personen lieben kann. Dabei geht es nicht nur um Sex, sondern auch darum, verbindliche Beziehungen mit mehreren Leuten einzugehen – in welcher Art und Weise, ist jedem selbst überlassen. Am besten stellt man sich das Ganze als Beziehungsbaukasten vor: Du baust dir deine Beziehung so zusammen, wie es für dich passt, ohne von außen vorgegeben zu bekommen, was du zu tun hast. Das Schöne ist, dass „Poly“ so viele Facetten hat, die man für sich selbst bestimmen und gemeinsam mit seiner Partnerin oder seinem Partner definieren kann. Ganz wichtig: offene Kommunikation und Konsens – also dass immer alle Beteiligten informiert und einverstanden sind.

Was ist der Unterschied zu einer offenen Beziehung?

In einer offenen Beziehung fokussiert man sich auf einen Partner, kann aber nebenbei auch Spaß mit anderen haben. Wie man Spaß definiert, ist jedem mehr oder weniger selbst überlassen – aber in der offenen Beziehung geht es vordergründig um das Sexuelle. Kurz: Ich kann mit anderen Personen schlafen – das weiß mein Partner und ist auch damit einverstanden.

Gibt es in polyamourösen sowie in offenen Beziehungen Regeln?

Das klingt zwar streng, aber Regeln sind in der Tat wichtig – auch wenn man diese nicht als solche bezeichnen muss. Man kommt jedenfalls wieder nicht um direkte Kommunikation und Konsens herum: Reden und Einverständnis sind, wie man vermutlich schon gemerkt hat, ganz wichtige Werte in alternativen Beziehungsformen. Das Um und Auf in polyamourösen oder offenen Beziehungen ist es, seine Gefühle ehrlich mit seinem Gegenüber besprechen zu können und diskursfähig zu sein. Regeln gibt es verschiedenste, immer an die Bedürfnisse der jeweiligen Personen angepasst. Packt man das Thema einmal genauer an, dann geht es vom Hundertsten ins Tausendste.

Wie ist das mit der Eifersucht?

Eifersucht ist natürlich da, bei manchen mehr, bei manchen weniger. Aber die eigentliche Frage ist: Wie gehe ich mit der Eifersucht um? Woher kommt die Eifersucht? Oft lässt sich dieses Gefühl nämlich auf eigene Unsicherheiten zurückführen oder die Tatsache, dass jemand anderer etwas hat, das man selbst gerade nicht haben kann. Im Prozess, damit umgehen zu lernen, lernt man auch unglaublich viel über sich selbst. Und wieder gilt: Communication is key!

Worauf muss man achten, um glücklich polyamourös zu leben?

Es gibt natürlich keinen Leitfaden, wie man polyamourös leben soll – denn das ist ja gerade das Schöne: Man hat die Freiheit, sich die Dinge so einzurichten, wie sie einem selbst am besten gefallen. Und deshalb gilt es, sich immer wieder zu fragen: Was will ich eigentlich? Und: Was will ich mit meinem Partner gemeinsam erreichen? (Erst dann werden Fragen über Beziehungsformen relevant.) Ständige Selbstreflexion und auch Selfcare gehören also dazu. Das heißt aber nicht, dass man so leben kann, wie es einem gefällt, ohne Rücksicht auf andere zu nehmen – denn Empathie und gegenseitiger Respekt werden unter polyamourösen Paaren auch ganz bewusst großgeschrieben.

Welches Bewusstsein fehlt in monogamen Beziehungen vermutlich, das in polyamourösen Beziehungen aber unabdingbar ist?

Pauschalisiert kann man das sowieso nicht sagen, aber wahrscheinlich ist noch nicht jedem bewusst, dass man Eigenverantwortung für seine Gefühle übernehmen muss und kein „significant other“ braucht, um „vollständig“ zu sein, wie es kulturell und medial so oft suggeriert wird. „Poly“ zu sein geht auch mit der Aufhebung von Co-Abhängigkeiten einher: Jeder trägt die Verantwortung für sein Wohlbefinden selbst – nicht die Personen, die man liebt.

Warum wird Polyamorie in den letzten Jahren so gehypt?

Sind das gute Entwicklungen, die damit einhergehen? Ganz klar: Hinter Polyamorie steckt viel mehr als bloß ein Hype. Polyamorie ist anspruchsvoll, und das geht mitunter infolge solcher Trends unter. Gerade wird Sex-Positivity sehr gefeiert – dabei wird gesellschaftlich und medial auch Content produziert, der nicht safe und konsensual ist. Da mangelt es leider an qualitativer Kommunikation.

Ist Polyamorie etwas für jeden?

Nein, ist sie nicht. Aber auch wenn Polyamorie nicht für jeden ist, sei eines gesagt: Aus der Art und Weise, wie sich polyamouröse Menschen idealerweise um ihre Beziehungen (und sich selbst) kümmern, können wir alle lernen. Denn am Ende geht es immer um dasselbe – glücklich zu sein, ganz egal, wie.