Eine Aussage des ehemaligen ÖVP-Nationalratspräsidenten Andreas Khol hat am 16. November für Empörung gesorgt. In einem Interview mit oe24.tv sagte er über SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner: „Also als Erstes, die Pamela Rendi-Wagner hat danach gerufen, ihr eine aufzulegen.“ 

Eine klare Aussage. Jemanden „eine auflegen“ ist ein in Österreich wohlbekannter und vielfach verwendeter Ausdruck für „jemandem eine Ohrfeige geben“. Es ist ein weiterer Fall von verbaler Gewalt gegen eine Politikerin. Und es ist ein gutes Beispiel, welchen Stellenwert erfolgreiche Frauen in unserer Gesellschaft noch immer einnehmen.

Andreas Khol: „Die Pamela Rendi-Wagner hat danach gerufen, ihr eine aufzulegen“

Der 79-jährige Andreas Khol war von 2002 bis 2006 Präsident des österreichischen Nationalrats. 2016 trat er für das Amt des österreichischen Bundespräsidenten an. Nach seiner Wahlniederlage kündigte er schließlich an, sich aus der Politik zurückziehen zu wollen. Seither ist er aber als politischer Kommentator weiterhin öffentlich präsent. Am 16. November 2020 gab der oftmals als „Urgestein der österreichischen Innenpolitik“ bezeichnete Ex-Nationalratspräsident auf oe24.tv ein Interview zur aktuellen Corona-Krise und dem von der österreichischen Regierung verhängten Lockdown. Konkret ging es um die Vorwürfe von SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner an die türkis-grüne Bundesregierung. Sie unterstellt der Regierung ein Versagen im Umgang mit dem Coronavirus.

Dazu sagte Khol: „Als Erstes hat die Pamela Rendi-Wagner danach gerufen, ihr eine aufzulegen. Kritisieren kann ein jeder, liebe Frau Rendi-Wagner.“ Die Aussage sorgte österreichweit für Empörung. Viele assoziieren mit der Aussage eine Forderung nach einer Ohrfeige. Die Sprecherin von Rendi-Wagner etwa sprach auf Twitter von einer Gewalt-Fantasie Khols. Auch SPÖ-Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch schrieb in einer Aussendung von einer „unfassbaren Entgleisung“ Khols. Er forderte Khol dazu auf, sich bei Rendi-Wagner zu entschuldigen. SPÖ-Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch. SPÖ-Frauensprecherin Gabriele Heinisch-Hosek forderte eine Stellungnahme von ÖVP-Chef und Bundeskanzler Sebastian Kurz.

Khol: „Habe mich in der Wortwahl vergriffen“

Eine Entschuldigung von Khol kam schließlich am Montag. Zumindest eine Art der Entschuldigung. Gegenüber der Tageszeitung „Der Standard“ rechtfertigte er: „Ich habe damit gemeint, dass man Frau Rendi-Wagner für ihre unsachlichen Aussagen über die Bundesregierung kritisieren muss.“ Wenige Stunden später räumte er gegenüber der Tageszeitung ein: „Ich habe mich in der Wortwahl vergriffen. Ich wollte kritisieren und nicht beleidigen. Ich werde mich umgehend bei Pamela Rendi-Wagner entschuldigen.“ Auch gegenüber dem Onlinemedium des ehemaligen Politikers Peter Pilz, „ZackZack“, rechtfertige Khol, er sei „ein alter Mann“, man würde schon wissen, wie er das gemeint habe. Später erklärte er aber auch gegenüber diesem Medium, dass er sich in der Wortwahl vergriffen habe und sich bei Rendi-Wagner entschuldigen würde.

Auch in einer Aussendung schrieb der ehemalige Nationalratspräsident:  „Ich habe diese Äußerung weder sexistisch noch als Verharmlosung von Gewalt gemeint, habe mich aber offenbar im Ton vergriffen. Ich bedauere zutiefst, sollte ich die Gefühle von Frau Rendi-Wagner verletzt oder sie in ihrer Person herabgewürdigt haben und ziehe diese Äußerung hiermit zurück“.

Verbale Gewalt gegen Politikerinnen: Alles andere als ein Einzelfall

Die Empörung war kurzzeitig groß. Khol legte die obligatorische „Ich habe mich in der Wortwahl vergriffen“-Rechtfertigung ab. Die Sache scheint gegessen. Ein Fall von verbaler Gewalt gegen eine Politikerin ist abgehakt. Nur leider ist es kein Einzelfall. Khol ist bei weitem nicht der erste männliche Politiker, der durch eine saloppe Aussage verbale Gewalt gegenüber einer Frau ausübt. Und er wird auch bei weitem nicht der Letzte sein. Erst im Sommer beschimpfte der ÖVP-Landeshauptmann-Stellvertreter Tirols Josef Geisler eine WWF-Mitarbeiterin als „widerwärtiges Luder“. Später erklärte er gegenüber dem Kurier: „Ich entschuldige mich selbstverständlich, wenn das falsch angekommen ist. Das war keine absichtliche Beleidigung.“ Es habe sich um eine „Gefühlsregung“ gehandelt.

Rechtfertigung statt Entschuldigung

Das Problem in beiden Fällen liegt nicht alleine in der gewalttätigen Sprache, die erfahrene Politiker leichtfertig und öffentlich gegenüber Frauen anwenden, sondern auch in der Art und Weise, wie sie damit umgehen. Weder Khol noch Geisler gaben nach ihren Aussagen eine aufrichtige Entschuldigung ab. Keiner von ihnen war sich irgendeiner Schuld bewusst. Der eine bedauerte lediglich, falls die Aussage „falsch angekommen“ sei. Der andere redete sich auf sein Alter aus und beteuerte, dass das alles nicht so gemeint gewesen sei. Tatsächliche Entschuldigungen sehen anders aus. Das, was die beiden Politiker hier abgegeben haben, sind Rechtfertigungen. Rechtfertigungen für ihren leichtfertigen Umgang mit Sprache in der Öffentlichkeit. Rechtfertigungen für ihren unüberlegten Ausdruck von verbaler Gewalt.

Aber ist ihr Ausdruck von verbaler Gewalt tatsächlich eine „Entgleisung“? Oder ist er lediglich ein Symptom einer kranken Gesellschaft? Erfolgreiche Frauen beschimpfen und sich später rechtfertigen: Es ist ein Verhaltensmuster, das wir nur allzu gut kennen. So gut, dass man meinen könnte, erfahrene Politiker seien in diesem Bereich bereits ausreichend sensibilisiert. Im Juli hielt die 31-jährige US-amerikanische Politikern Alexandria Ocasio-Cortez eine lange und ausführliche Rede über die Machtstruktur, die eine „Akzeptanz von Gewalt und gewalttätige Sprache gegenüber Frauen“ zulasse. Ausschlaggebend für ihre Ansprache war eine Auseinandersetzung zwischen ihr und dem 65-jährigen Republikaner Ted Yoho. Dabei beschimpfte sie der Politiker als “fucking bitch” (“verdammte Schlampe”) und bezeichnete sie als “ekelhaft”. Später entschuldigte sich Yoho in einer Rede im Repräsentantenhaus für seine “Leidenschaft”, nicht aber für seine Wortwahl. Er bestritt zudem, Ocasio-Cortez als “fucking bitch” bezeichnet zu haben. Klingt vertraut? Ist es auch!

Festgefahrene Gesellschaftsstrukturen

Andreas Khol erklärte in einer Aussendung, seine Aussage wäre nicht „sexistisch gemeint“ gewesen. Das ist zwar keine Entschuldigung, aber sehr wohl glaubwürdig. Er ist ein Mann, er ist 79 Jahre alt: Er hat vermutlich so gesprochen, wie er immer spricht. „Eine auflegen“: Wer hat diese Ausdrucksweise nicht schon einmal in den Mund genommen? Und wie viele von uns haben sie tatsächlich „so gemeint“? Das beunruhigende ist aber, dass Khol als Person in der Öffentlichkeit, als erfahrener Politiker und als politischer Kommentator viel besser auf seine Sprache und seine Wortwahl achten sollte, alleine schon aus Respekt gegenüber seiner Politik-Kollegin Pamela Rendi-Wagner. Hätte er eine ebenso saloppe und Gewalt-geladene Sprache gegenüber einem männlichen Kollegen gewählt? Man kann nur spekulieren, aber die Erfahrungswerte lassen uns das wohl eher verneinen.

Gewalt gegen Frauen, ob verbal, psychisch oder körperlich, ist in unserer Gesellschaft tief verankert und alles andere als ein Ding der Vergangenheit. Alleine während des ersten Lockdowns ist die Gewalt an Frauen nachweislich gestiegen. Und auch verbale Gewalt gegen Politikerinnen ist keine Seltenheit. 2016 hat die australische Social Media-Firma Max Kelsen analysiert, wie Nutzer auf Twitter über parteiinterne Nominierungsprozesse sprechen, bei denen Männer und Frauen konkurrieren. Hierbei zeigte sich, dass die Kandidatinnen in den meisten Fällen deutlich mehr Hasspostings erhalten.

„Kritistieren kann jeder“

Betrachten wir die Person Pamela Rendi-Wagner kurz ganz objektiv, ohne ihre politische Einstellung, ihre Rolle als Parteichefin der österreichischen Sozialdemokraten oder gar ihr Geschlecht zu berücksichtigen. Sie ist 49 Jahre alt, wuchs als Tochter einer alleinerziehenden Mutter auf, studierte an der Medizinischen Fakultät der Uni Wien und absolvierte später an der London School of Hygiene and Tropical Medicine den Master-Studiengang „Infection and Health“. Von 2011 bis 2017 übernahm Rendi-Wagner die Leitung der Sektion III, „Öffentliche Gesundheit und medizinische Angelegenheiten“ im Bundesministerium für Gesundheit, war Vorsitzende des Bundesamts für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG) und Mitglied der Bundesgesundheitskommission. 2017 war sie Gesundheits- und Frauenministerin. Rendi-Wagners Mutter war Kindergärtnerin, sie selbst hat zwei Töchter.

Ihre Kritik an dem Umgang der österreichischen Regierung mit dem Coronavirus ist also keine unüberlegte, grantige oder unqualifizierte Hetze. Sie hat durch ihre Erfahrungen in Politik und Medizin und alleine durch ihre Rolle als Oppositionspolitikerin das gute Recht Kritik zu üben. „Kritisieren kann jeder, liebe Frau Minister außer Dienst“, erklärte Khol in seinem Interview mit oe24.tv. Das ist richtig. Das kann jeder. Das darf auch jeder. Was wir allerdings nicht mehr dürfen: Leichtfertig verbale Gewalt gegen Frauen ausüben. Vor allem dann nicht, wenn man sich als politischer Kommentator weiterhin in der Öffentlichkeit präsentiert .