Rollenspiele, zum Beispiel in Form von sogenannten LARPs (Live Action Role Playing), bei denen sich manchmal hunderte Menschen zusammenfinden und teilweise ganze Wochenenden lang in andere Rollen schlüpfen, in eigene Welten eintauchen und verschiedene Szenarien nachspielen, oder sogenanntes Cosplay (Costume Play), bei dem sich Anime- und Comic-Fans in ihre Lieblingsfiguren verwandeln und teilweise sogar ihre eigenen Charaktere erfinden, erfreuen sich immer größerer Beliebtheit. Diese Communitys wachsen und haben auch in Österreich mittlerweile ihren fixen Platz gefunden. So werden sich auch auf der Vienna Comic Con, die von 17. bis 18. November 2018 in der Messe Wien stattfindet, wieder unzählige Menschen in aufwendigen und kreativen Kostümen finden, um gemeinsam ihrer Leidenschaft nachzugehen. Doch warum gibt es diese Communitys? Was steckt hinter dieser Leidenschaft und warum gibt es Menschen, die gerne in andere Rollen schlüpfen und sich so völlig neu erfinden? Es existieren eine Vielzahl an Klischees, oftmals werden Cosplayer und Co außerhalb ihrer Community belächelt. Wir haben bei Psychologin Caroline Erb nachgefragt, was dahintersteckt – und welche Vorurteile definitiv falsch sind.

In andere Rollen zu schlüpfen, kann das Selbstbewusststein stärken

Es gibt viele Gründe, warum Menschen in andere Rollen schlüpfen, sich mit der Verkleidung ihrer Lieblings-Comic-Helden eine neue Persönlichkeit geben oder bei Rollenspielen einfach mal ein Wochenende in die Welt des Mittelalters eintauchen. Es sorgt für Ablenkung und lässt manche den Alltag für eine kurze Zeit vergessen. Oft ist es auch die Flucht aus einem stark strukturiertem Alltag oder einfach eine schöne Möglichkeit, seine verschiedene Persönlichkeitszüge auszuleben, so Caroline Erb. Menschen, die zum Beispiel Teil einer Cosplay- oder Rollenspiel-Community sind, treffen so eine Gemeinschaft mit ähnlichen Interessen – und es bilden sich Freundschaften. In andere Rollen zu schlüpfen kann außerdem das Selbstbewusstsein stärken, einen mutiger werden lassen oder für viele auch helfen, seine Schüchternheit zu überwinden, verrät uns Caroline Erb im Interview:

Sind Rollenspiele eine Flucht vor dem Alltag?

Es muss nicht unbedingt eine Flucht sein, wenn es extrem betrieben wird, kann es eine sein, aber es kann auch so verstanden werden, als würde man sich den Alltag versüßen wollen und man hier auch wie beim kindlichen Spielen Gefühle artikuliert und ausdrückt, die sonst im Alltag zu kurz kommen. Man kann es auch ein bisschen als großes Selbsterfahrungsfeld ansehen, in dem man seine Fantasien durch dieses Rollenspiel auslebt. Es ist halt immer die Frage, wird das nur als Hobby oder Freizeitbeschäftigung gesehen? Oder tritt es so stark in den Alltag, dass dann für anderes keine Zeit bleibt? Hier muss man sich individuell die Frage stellen, was da im Einzelnen dahinter steckt.

Kritiker würden wohl behaupten, es sei eine Art, vor Problemen wegzulaufen?

Auch das muss nicht sein. Wie gesagt, es kann sogar das Selbstbewusstsein stärken, ähnlich wie bei Kindern. Der ängstliche Typus kann sich vielleicht durch eine Heldenfigur stärker fühlen als sonst oder sich einfach in verschiedenen Rollen ausprobieren. Natürlich, wenn das einer als Flucht vor der Realität ansieht und alle möglichen Konfliktfelder stehen lässt und nicht löst, dann ist es anders zu bewerten, aber oft geht es auch um die Erfüllung von Wünschen und Sehnsüchten, die die Realität nicht immer leisten kann. Da gibt es einfach verschiedene Möglichkeiten das auszulösen.

Können diese Art von Rollenspielen Einfluss auf das Selbstbewusstsein haben?

Ja, eben so weit hingehend, dass es das Selbstbewusstsein eigentlich eher stärken kann. Man kann sich in eine andere Figur hinein versetzen. Das kann sogar die Empathiefähigkeit, die Kreativität und die Fantasie beflügeln. Man kann Persönlichkeitsanteile zum Leben erwecken und fördern und stärken, die vielleicht sonst eher schlummern oder im Büro oder im Job nicht so eine große Entfaltung finden. Manchmal hilft auch die Maske, die Verkleidung. Das man da plötzlich selbstbewusster dastehen kann, weil man da nicht als der eigentliche Ursprüngliche erkannt wird und auch in eine gewisse schon bekannte Schublade gesteckt wird.

Kann das auch negative Auswirkungen oder Folgen haben?

Es geht eigentlich um die Dosis. Wie weit spielt es in meinem Alltag eine Rolle, sodass mir andere Dinge zu kurz kommen? Oder hänge ich dann nur noch sozusagen in dieser Rolle fest und kann mich wieder schwer in den Alltag und die Realität einfinden. Das ist schon wichtig, dass man klar unterscheidet, dass man sagt: ‚Okay am Abend oder bei dem Fest am Wochenende schlüpfe ich vielleicht mal hin und wieder in die und die Rolle, aber am Montag um acht in der Früh switche ich dann wieder in mein Alltagsprogramm und kann mich da auch wieder gut einleben und einfinden‘.

Wo sind die Grenzen? Ab wann merkt man, dass jemand Gefahr läuft, sich in seiner Rolle zu verlieren?

Das würde das Umfeld sicher sehr schnell merken, wenn man zum Beispiel Schwierigkeiten hat, den Alltag zu erledigen und sich immer mehr von Freunden zurückzieht oder der Familie, die dieses Hobby nicht so teilt oder sich nicht so gerne in diese Rollenspiele einfinden. Es lebe die Vielfalt – und das kommt hier auch immer drauf an, wie sehr die anderen Lebensbereiche davon beeinträchtigt oder belegt sind. Wichtig ist natürlich auch: Wenn es das Selbstbewusstsein stärkt, die Kreativität beflügelt, wenn man vielleicht auch neue Freunde dadurch kennenlernen kann und aus festgefahrenen Mustern hin und wieder ausbricht, kann das auch einen gewissen psychohygienischen Wert haben und dagegen ist grundsätzlich überhaupt nichts einzuwenden.

Anders gesagt, was diese Communitys machen, ist eigentlich richtig gut und kann extrem positive Auswirkungen auf die Psyche und den eigenen Selbstwert haben. Rollenspiele können die Persönlichkeit stärken und wer regelmäßig in andere Rollen schlüpft, hat eine gute Möglichkeit gefunden, sich vom stressigen oder streng geregelten Alltag zu erholen und einfach mal abzulenken. Es kann Menschen dabei helfen, neue Seiten an sich zu entdecken, Persönlichkeitszüge auszuleben, die im gewohnten Umfeld nicht unbedingt Platz finden oder auch einfach mal neue Freunde und Gemeinschaften kennenzulernen, die sich positiv auf das Selbstbewusstsein auswirken können. Wie bei allem anderen auch gilt dabei aber immer das richtige Maß zu erwischen, so die Psychologin. Wer nur schwer wieder aus seiner Rolle herausfindet, könnte nämlich auch Gefahr laufen, vor Problemen und dem Alltag wegzulaufen. Spätestens dann sollten sich Freunde und Familie Gedanken machen. Solange sich diese Leidenschaft aber positiv auf einen auswirkt, sollten wir doch einfach alle viel öfter mal in eine andere Rolle schlüpfen.

Nähere Infos zu Rollenspielen in Form von LARPs oder Cosplay erhältst du hier:

www.larp-oesterreich.at

www.cosplay-anime.at