Vertraue niemandem blind: Das scheint eine der unterschwelligen Botschaften im Oscarfilm „Promising Young Woman“ zu sein. Denn die Schauspieler, die man als „Everyone’s Darling“ kennt, werden hier schnell zu den Bösen.

Wer glaubt, den Bösen hier identifizieren zu können, liegt ziemlich sicher falsch.

Der „Schwiegersohn“-Typ als Täter

Wer Adam Brody sieht, denkt vermutlich schnell an Seth Cohen, den niedlichen Comic-Nerd aus „O.C., California“. Seth, der sein Boot nach seiner Jugendschwärmerei benannte, eben diese erste große Liebe heiratete und einfach rundum der Traum-Schwiegersohn für jede Mutter war. Wer dieses Bild im Hinterkopf hat, denkt sich also kaum etwas Böses, wenn er in „Promising Young Woman“ auftaucht.

Denn in der Szene sieht man die scheinbar vollkommen angetrunkene Cassie allein in einer Bar sitzen. Brody und seine zwei Freunde unterhalten sich über sie und ihren Zustand als Brody heldenhaft beschließt, sich um die junge Frau zu kümmern. Klingt doch alles gut, oder? Weil die junge Frau ihr Telefon nicht findet, bringt er sie nach Hause. Etwas anderes würden wir auch von Seth Cohen nicht erwarten.

Wenn dieser vermeintliche „Golden Boy“ sich dann aber ohne Einverständnis an die junge Frau ranmacht, sie auszieht und sie in seiner Wohnung versucht zu misshandeln, ist das Bild vom perfekten Traummann schnell zerstört.

Regisseurin bricht mit alten Filmklischees

Genau mit diesen Erwartungen spielt „Promising Young Woman“ ganz gezielt; nicht nur mit Seth Cohen. Denn in dem Film geht es um Cassie (gespielt von Carrey Mulligan), die abends so tut als wäre sie betrunken und sich von Männern mitnehmen lässt, die eben diese Situation ausnutzen möchten.

Sobald Cassie in den Wohnungen der Männer angekommen ist und diese sich am vermeintlichen Ziel sehen, offenbart sie, wie nüchtern sie ist und gibt den Männern eine Lektion in Sachen Consent.

Regisseurin Emerald Fennell wollte mit ihrem Film nicht nur auf das Thema sexuelle Gewalt gegen Frauen aufmerksam machen, sondern auch zeigen, welche Filmtropes in unseren Köpfen schon normalisiert wurden. „Als ich aufwuchs – und ich glaube, das ist auch heute noch so – war es in Filmen ein gefundenes Fressen, Frauen betrunken zu machen, um mit ihnen zu schlafen, ihnen mehr zu trinken zu geben, als man selbst trinken würde, am Ende der Nacht zu warten, um zu sehen, wer im Club betrunken ist. Mädchen, die aufwachen und nicht wissen, wer neben ihnen im Bett liegt – das war einfach nur Komödienfutter“, sagt Fennell gegenüber NPR. „Wir leben in einer Kultur, in der solche Dinge normalisiert sind“.

Promising Young Woman zeigt: Jeder kann der Täter sein

Dass genau diese Normalisierung gebrochen werden muss, zeigt „Promising Young Woman“. Und das mit männlichen Charakteren, die den Zuschauern bestens bekannt sind. Männer, die wir mit der Rolle des „Guten Jungen“, „Traumtypen“ oder charmanten Jungen von nebenan verbinden. Und sie alle schocken wieder und wieder, wenn sie ihr „wahres Gesicht“ auf der Leinwand offenbaren.

Eine Entscheidung, die von Fennell übrigens ganz bewusst getroffen wurde. Denn eben dieses Gefühl soll bei den Zuschauern ausgelöst werden: Jeder kann ein Vergewaltiger sein, auch der vermeintlich süße nerdige Junge oder der Musterschüler. Ein Image sagt nicht aus, wozu jemand fähig sein kann. Das Konzept scheint auch aufgegangen zu sein. Promising Young Woman wurde Anfang des Jahres mit einem Oscar für das beste Drehbuch ausgezeichnet. Der Film läuft jetzt auch in den heimischen Kinos und wird bereits als einer der außergewöhnlichsten Filme des Jahres gehandelt.