Die Produktionsfirma Lionsgate hat bekanntgegeben, dass ein Biopic über Michael Jackson in Planung ist. Darin soll die Geschichte des Aufstiegs zum „King of Pop“ thematisiert werden. Aber kann man das heute noch vertreten?

Denn schon lange vor der Veröffentlichung von „Leaving Neverland“ ist das Image von Michael Jackson auch durch vermuteten Kindesmissbrauch geprägt.

Michael Jackson Biopic von den Machern von „Bohemian Rhapsody“

Unter dem Titel „Michael“ arbeitet Lionsgate derzeit an dem Biopic über den „King of Pop“. Unterstützung bekommt die Produktionsfirma von Graham King – dem Macher des Queen-Musicalfilms „Bohemian Rhapsody“. Durch die Zusammenarbeit mit den beiden Vollstreckern des Michael Jackson-Nachlasses, John Branca und John McClain, ist es auch möglich, dass die Originalsongs von Jackson Teil des Films sind.

Laut Lionsgate soll der Film so „ein tiefgründiges Porträt des komplizierten Mannes, der zum King of Pop wurde“ sein. „Es wird Jacksons ikonischste Auftritte zum Leben erwecken und gleichzeitig einen fundierten Einblick in den künstlerischen Prozess und das persönliche Leben des Entertainers geben.“ Der Film soll also sowohl Jacksons Anfänge bei den Jackson Five zeigen, als auch seinen Aufstieg zur Musiklegende.

Teil sollen aber auch „seine juristischen Auseinandersetzungen mit zivil- und strafrechtlichen Prozessen wegen angeblichen sexuellen Missbrauchs von Kindern“ sein, schreibt „The Hollywood Reporter“. Welches Ausmaß dieser Teil von Jacksons Biographie einnimmt, ist jedoch noch nicht bekannt.

Aber egal, wie intensiv der Film sich damit auseinandersetzt, bei einem Film ÜBER den Star (und mutmaßlichen Täter) stellt sich eine Frage: Brauchen wir dieses Biopic wirklich?

Vorwürfe des Kindesmissbrauchs gegen den Superstar

Denn in den vergangenen Jahren stand der Name Michael Jackson medial vor allem für eines: die Vorwürfe der Kindesmisshandlung. Zur Erinnerung: In der zweiteiligen Dokumentation „Leaving Neverland“ warfen Wade Robson und James Safechuck dem „King of Pop“ vor, sie als Kinder missbraucht zu haben.

In großem Detail schildern die beiden ihre Beziehung zu dem Superstar und erzählen, wie dieser sie in seine „Neverland“-Ranch eingeladen hat und sie über Jahre hinweg immer wieder missbrauchte. Unterstützt werden die Aussagen der beiden von Liebesbriefen und Voicemails, die Jackson an die beiden schickte.

Jackson wurde noch zu Lebzeiten wegen Kindesmissbrauch angeklagt; nach einem Prozess wurde er jedoch freigesprochen. Bis zu seinem Tod 2009 bestritt er jegliche Anschuldigungen. Die Vorwürfe endeten damit jedoch nicht.

Braucht es wirklich noch mehr Michael Jackson Content?

Doch während ein Biopic von anderen Stars, denen Kindesmissbrauch oder Vergewaltigung vorgeworfen wird, extrem problematisch wäre und in dieser Form vermutlich nicht umsetzbar, wird Michael Jackson weiterhin als „King of Pop“ gefeiert. Denn Michael Jackson sorgt so wie es aussieht immer noch für volle Kassen.

Erst Anfang des Monats feierte das Broadway Musical „MJ“ Premiere. Dieses zelebriert das Schaffen des Superstars in den 90ern – ohne dabei auf die damals immer lauter werdenden Vorwürfe einzugehen. So wie es aussieht, geschieht das ganz bewusst. Denn als ein Reporter von „Variety“ bei der Premiere Fragen zum Umgang mit eben jenen Vorwürfen stellen wollte, wurde er prompt vom Roten Teppich weggeschickt.

Es scheint also so, als werde ganz bewusst nur jene Seite des Superstars erzählt, die auch Jackson selbst zeitlebens förderte. Der Künstler, der eine harte Kindheit überstand und in einer Art Fantasiewelt lebte, in der er nie erwachsen werden wollte. Ein Superstar, der missverstanden und falsch interpretiert wurde und mit großen Vorurteilen zu kämpfen hatte. Aber kann man derartige Darstellungen zu Zeiten von #MeToo, Cancel Culture und Co wirklich noch rechtfertigen?

Was wurde aus „Time’s Up“?

Es ist das eine, zu sagen, dass man die Musik von Michael Jackson auch nach den Anschuldigungen weiter hört und versucht, Kunst und Künstler voneinander zu trennen. Das ist ehrlich gesagt schon problematisch genug und sorgt in Fällen wie R. Kelly, Harvey Weinstein und Kevin Spacey immer wieder für ein großes Diskussionsthema. Doch bei einem Biopic ist klar, dass hier Künstler und Kunst nicht voneinander getrennt werden können. Schließlich geht es in der Biografie ja eindeutig um beides, wie die Produktionsfirma betonte.

Hier kann man einfach nicht mehr rechtfertigen, einen großen – und essentiellen – Teil von Michael Jacksons Leben und Schaffen einfach auszuklammern oder nur am Rande zu thematisieren. Denn in einer Zeit, in der sich immer mehr Leute unentwegt dafür einsetzen, dass Opfer endlich Respekt bekommen, ist der neue Film ein großer Rückschritt und Schlag ins Gesicht. Und zwar nicht nur für jene, die von ihren traumatischen Erlebnissen mit Michael erzählt haben.

Denn sollte die Botschaft der #MeToo-Bewegung nicht sein, dass man Menschen glauben soll, wenn sie von ihren Traumata erzählen? Stattdessen scheint „Time’s Up“ für viele problematische Künstler der vergangenen Jahre zu gelten – für Michael Jackson aber weiterhin nicht. Der wird weiterhin gefeiert – seine (vermutlichen) Schattenseiten werden dabei ausgeklammert.

Familie freut sich über Projekt

Dazu kommt noch, dass durch diesen neuen Film erneut die Familie Jackson – und insbesondere Michael – mit ziemlich großer Wahrscheinlichkeit in ein positives Licht rückt. Seine Songs werden mit dem Film wieder prominenter und öfters gespielt. Ganz egal, mit welcher Intuition man sich den Film also ansieht – kritisch oder wohlwollend – Jacksons Familie und sein musikalisches Erbe profitieren (auch finanziell) von einem Besuch.

Wenn man sich die Liste an Künstlern vor Augen führt, die ebenfalls großen Einfluss auf die Musikgeschichte hatten und deutlich unproblematischer waren, ist es gleich doppelt schade, wie viel Budget Lionsgate in den Film steckt (und wie viel Gewinn am Ende herauskommt). Es steht außer Frage: Michael Jackson hat für die Popmusik Großes getan; doch viele andere haben das auch – ganz ohne Missbrauchsvorwürfe. Sollten wir nicht lieber sie ins Rampenlicht stellen`?

Denn statt sich – wenn überhaupt – kritisch mit dem Künstler auseinanderzusetzen und auch die schlechten Seiten aufzuarbeiten, scheint es ganz so, als wäre „Michael“ nur ein weiteres Projekt, das den Sänger glorifiziert. Natürlich bleibt abzuwarten, wie viel der Film letztendlich zeigt und ob er sich eventuell sogar ausführlicher den Anschuldigungen widmet.

Nachdem hinter dem Projekt allerdings die Beteiligten des Michael Jackson-Nachlasses stehen, bleibt das zu bezweifeln. Das unterstreicht spätestens die Reaktion von Michaels Mutter, Katherine Jackson. „Als Familie fühlen wir uns geehrt, dass unsere Lebensgeschichte auf der großen Leinwand lebendig wird.“ Für ein derartiges Projekt ist ehrlich gesagt wirklich die Zeit abgelaufen!