Haben wir wirklich nur eine Chance auf ein gutes Leben oder geht es nach dem Tod noch weiter? Diese Frage beschäftigt wohl viele von uns immer wieder. Für Menschen, die an Rückführungen glauben, ist die Antwort jedoch klar: sie sind sich sicher, dass wir alle viele Leben haben, in denen wir die unterschiedlichsten Dinge lernen.

Wir haben mit einer Reinkarnationsexpertin darüber gesprochen, was es bedeutet, schon einmal gelebt zu haben.

Von wegen „YOLO“: Rückführungen sollen frühere Leben zeigen

Woher komme ich, wo sind meine Wurzeln und was genau beeinflusst mich eigentlich in meinem Leben? Das alles sind Fragen, die wohl jede:n schon einmal beschäftigt haben. Denn wissen zu wollen, wo der eigene Ursprung liegt, liegt in der Natur des Menschen. Das zeigt unter anderem der Trend zur Genealogie, also der Ahnenforschung. Sei es mithilfe von DNA-Samples, einer digitalen Stammbaumerstellung oder dem Besuch in einem Archiv: Es gibt immer mehr Möglichkeiten, die eigenen Ursprünge zu finden.

Die etwas andere Art der Genealogie macht hingegen Claudia Illichmann. Denn sie hebt die Ahnenforschung auf ein deutlich spirituelleres Level und unterstützt Menschen bei der Suche nach ihrem früheren Leben. In sogenannten Rück­führungen hilft sie bei der Beant­wortung der folgenden Frage: Habe ich schon einmal gelebt – bin ich wiedergeboren?

Aber wie soll das denn bitte funk­­­tionieren? Illichmann unterscheidet zwischen zwei Arten der Rückführung. Zum einen ist da die einfache Rück­führung. Sie zielt auf Menschen ab, die „neugierig sind und ihren Horizont erweitern wollen“. Illichmann begleitet die Klient:innen dabei in ein „glück­liches“ früheres Leben. Damit das überhaupt möglich ist, werden sie in den sogenannten „Alpha-Zustand“ gebracht. „Das ist ein Zustand, den man kennt, denn man überquert ihn jeden Tag beim Einschlafen und beim Aufwachen. Man hat ein duales Bewusstsein: Man weiß, man ist hier, ist aber gleichzeitig ganz weit weg.“ Der Alpha-Zustand ist auch jene Phase unseres Bewusstseins, in der wir zum Tagträumen neigen.

Wolfgang Amadeus Mozart ist heute eine Frau?

Illichmann nutzt diesen Trancezustand, um den Klient:innen Fragen zu ihrem früheren Leben zu stellen.
Sie begeben sich so zurück in dieses Leben und berichten dann, was sie sehen, riechen, schmecken und fühlen, erklärt die Expertin. „Das ist ein bisschen so, als wäre man in seinem eigenen Kinofilm.“ Illichmann betont, dass sie die Rückführung nur begleitet; die Eindrücke erzählt die Person selbst. Sie gibt keine Vorgaben, sondern fragt lediglich, wie die Um­­gebungen aussehen, was bei einem Essen auf dem Tisch steht oder von welchen Menschen man umgeben ist.

Und diese Antworten sind ziemlich vielseitig. Denn in den 16 Jahren, in denen Illichmann Rückführungen durchführt, hatte sie schon so einige Vergangenheiten auf ihrer Couch. Es sind „ganz normale Leben“, von denen die Menschen berichten. Illichmann erzählt etwa von einer Klientin, die in einem früheren Leben eine Ziege war und sich über den wollüstigen Ziegenbock ärgerte, oder von einer Frau, die früher ein ganz ein­faches Leben als Mönch geführt hat. Gemeinsam mit der Bruderschaft lebte sie als Mann also fernab von Stress und Leistungsdruck und genoss die Arbeit im Klostergarten.

Aber auch eine prominente Reinkarnation durfte Illichmann schon kennenlernen: Auf ihrer Couch fand
sie nämlich keinen Geringeren als Wolfgang Amadeus Mozart. „Diese Dame hat mir sehr ausführlich über Nannerl und die Familienkonstellationen erzählt und auch über einige private Geschichten gesprochen“,
erinnert sie sich. Bei der Rückführung versucht Illichmann immer, etwas herauszufinden, „was die Klient:innen nachher googeln können“; sei es der Name eines Marktplatzes, auf dem sie schlendern, der Name des regierenden Königs oder das Gesicht auf dem Taler, mit dem sie bezahlen.

Wie ein früheres Leben bei ­aktu­ellen Problemen helfen soll

Doch nicht jeder will mit seiner Rückführung nur eine Neugierde stillen. Denn die zweite Variante der Rück­führung, die Illichmann anbietet, richtet sich an Menschen, die ein Problem lösen wollen, das sie schon lange beschäftigt; wie etwa Selbstwertprobleme, sexuelle Probleme, die ­Un­­fähigkeit, Geld zu sparen, oder der Hang zu toxischen Beziehungen. Dies sind Probleme, die laut Illichmann ihren Ursprung in einem Schlüsselerlebnis eines vergangenen Lebens haben können. Um dieses Problem zu lösen, braucht sie Hilfe. „Dafür führe ich die Klient:innen mit ihrem höheren Selbst zusammen“, erklärt sie. „Das ist ein Teil von ihnen – ihre höhere Weisheit.“ Dieses höhere Selbst weiß über jedes Leben Bescheid – und führt die Klient:innen in jenes Leben zurück, in dem der Ursprung des Problems liegt.

Illichmann erzählt in diesem Kontext etwa von einem Mann, der eine Laktoseintoleranz hatte. Deren Ursprung lag für ihn in einem früheren Leben, denn wie sich in der Rückführung zeigte, wurde er mit einer Heugabel erstochen. „Davor ist im Kampf eine Milchkanne umgekippt und auf der Heugabel waren Reste der Milch. Der Körper hat dieses Trauma nicht verarbeitet und in der Erinnerung bleibt dann die Information: ‚In der Milch liegt der Tod‘“, schildert sie die Rückführung.

Im Anschluss daran widmet sie sich detailliert der Auflösungsarbeit. Gemeinsam mit dem höheren Selbst werden in einem Ritual die gefangenen Emotional­energien (also der Ursprung der Probleme) im Trance­zustand in ein sogenanntes Lichtfeuer geworfen. So werden diese Emotionen in „Urliebe“ aufgelöst, erklärt sie. Anschließend werden die negativen Glaubenssätze und Programmierungen – Illichmann nennt sie die mentalen Energien – transformiert. „Als dritter Schwerpunkt der Lösungsarbeit werden unzuträgliche karmische Ver­­strickungen zwischen Seelen gelöst“, erzählt sie. Am Ende der Auflösungsarbeit sollte der Konflikt so auf emotionaler als auch auf mentaler Ebene gelöst werden.

Rückführungen: Alles Fantasie?

Wissenschaftlich bewiesen ist das alles natürlich nicht. Denn einen greifbaren Hinweis darauf, dass wir schon einmal gelebt haben, hat bisher noch niemand gefunden. Dementsprechend gibt es auch Kritik an der Rückführung: Auf der Webseite der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften heißt es in einem Artikel zum Thema Rein­karnation etwa: „In keinem einzigen Fall konnte jedoch nachgewiesen werden, dass die Erinnerungen an ‚frühere Leben‘ auf tatsächlichen Geschehnissen beruhen.“

Dass Menschen dennoch von ver­­gangenen Erlebnissen im Mittelalter oder der Antike berichten, könnte vielmehr an dem Trancezustand liegen, in dem sie sich befinden. „Die Erklärung für vermeintliche Erinnerungen an frühere Leben liegt in erster Linie darin, dass sich in Trance das Wahrnehmungsfeld des Klienten verengt, während gleichzeitig enorme Fantasietätigkeit freigesetzt wird“, heißt es in dem Artikel. „Menschen in Trance fabulieren be­­stechend ‚logisch‘ und detailliert. Zudem sind ihre Geschichten meist begleitet von heftigsten Gefühls­wallungen, sodass sie selbst wie auch Augenzeugen unverrückbar an die faktische Realität des Erlebten glauben. Tonband- und Videoprotokolle sind oft von beklemmender Authentizität.“

Gleichzeitig berichten Reinkarnationsexpert:innen jedoch von zahlreichen Menschen, die Erfahrungen aus einem früheren Leben teilen. Der amerikanische Psychiater Ian Stevenson forschte etwa knapp 45 Jahre lang am Thema Rückführungen und dokumentierte internationale Fälle, die bis ins kleinste Detail von früheren Leben und Er­­­fahrungen erzählen konnten. Kritiker:innen sahen in diesen Fällen allerdings
das Ergebnis von Sugges­tivfragen und Beeinflussung durch den Psychiater und eine große Fantasie
der Klient:innen.

Rückführungen suggerieren: Deine BFF war früher vielleicht einmal dein Ehemann

Für Illichmann gibt es allerdings eine ganz simple Erklärung, die die Wiedergeburt legitimiert, denn für sie ist ein Leben vergleichbar mit einem Schultag. Die Seele, betont sie, will ständig lernen. „Wir gehen in die Schule, lernen hier und machen Erfahrungen. Dann gehen wir wieder nach Hause, wiederholen das Gelernte und überlegen, was wir noch lernen wollen. Und das lernen wir dann in einem nächsten Leben“, sagt sie.

Man durchlebt also so viele Inkarnationen, bis die Seele ausgelernt hat. Dafür bekommt man auch Hilfe, denn Illichmann spricht von einer Seelenfamilie. „Das sind 100 bis 200 Seelen, mit denen man öfter inkarniert, und die stellen sich dann auch für Lernthemen zur Ver­fügung“, erzählt sie. Der heutige Chef war also in einem früheren Leben vielleicht einmal der Nachbar, der einem im aktuellen Leben Geduld beibringen soll. Illichmann: „Man kann davon ausgehen, dass man mit den Menschen, die einem sehr nahestehen, sicher schon einmal ein Leben hatte.“

Die Rückführung soll für sie aber nicht nur die Verbindungen zwischen aktuellen BFFs aufdecken – Illichmann sieht darin mehr das Potenzial, mit sich selbst ins Reine zu kommen und die Ursprünge von
ver­­borgenen Talenten zu erforschen, und einen alternativen Zugang zum Thema Selbst­findung. Dass die Antworten von heute in vergangenen Aktionen liegen, ist dabei ja nichts Neues, denn schon der Schriftsteller André Malraux sagte: „Wer in der Zukunft leben will, muss in der Vergangenheit blättern.“ Und für Illichmann liegt diese Vergangenheit eben deutlich weiter zurück als für manch andere …