Ob PatientInnen in komatösem Zustand tatsächlich mitbekommen, was um sie herum geschieht, ist bis heute ein Rätsel. Eine Frau ist nun nach fünf Jahren aus dem Wachkoma erwacht und berichtet, wie es ihr in dieser Zeit ergangen ist.

Carola Thimm lag fünf Jahre im Wachkoma: ein Zustand, den ÄrztInnen, MedizinerInnen und Pflegekräfte auf der ganzen Welt noch immer schwer einschätzen können. Man weiß nicht, wie viel die PatientInnen wirklich von ihrer Umwelt mitbekommen. „Ich konnte alles sehen und hören, aber mein Mund bewegte sich nicht„, so Carola Thimm in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung. Am 31. Mai 2004 wurde Carola wegen starker Kopfschmerzen und Ohnmacht ins Krankenhaus eingeliefert, zu diesem Zeitpunkt war sie im 5. Monat schwanger. Als sie im Krankenhaus erwachte, konnte sie den Ärzten noch mitteilen, dass sie früher an einem Aneurysma im Kopf litt, eine Erweiterung eines arteriellen oder venösen Blutgefäßes, das häufig zum Tod führt, wenn es reißt oder platzt.

Carola musste operiert werden, doch die Operation verlief nicht ohne Komplikationen: Ihr Hirndruck stieg, deshalb musste ein Teil der Schädeldecke geöffnet werden, um den Druck zu verringern. Man versetzte sie zu diesem Zwecke in ein künstliches Koma, um das Gehirn zu schützen. Und eigentlich hätte Carola wieder aufwachen sollen, als die Ärzte die Medikamentendosis verringerten – sie fiel aber ins Wachkoma.

An diese Zeit kann sie sich nach eigenen Aussagen kaum erinnern. Sie bekam im 7. Monat Wehen, ihre Tochter wurde per Kaiserschnitt geholt, beide überlebten den Eingriff. Allerdings war ihr fünf Jahre später immer noch nicht klar, wer das kleine Mädchen war. „Einen Moment es Aufwachens gab es nicht, es war ein Prozess„, so schilderte Carola ihren Zustand. Sie schlief nachts, hatte tagsüber die Augen offen, sie konnte alles sehen und hören, aber sich nicht artikulieren. Ihr Mund bewegte sich nicht. Sie wurde längere Zeit künstlich beatmet und ernährt, eine Therapeutin fing an, sie nach und nach mit etwas Joghurt zu füttern. Ein Unterfangen, das riskant ist: WachkomapatientInnen können sich leicht verschlucken und sogar ersticken.

Ihre Mutter war eine große Hilfe in dieser Zeit: „Sie kam, um die Pfleger zu entlasten. Als ich wieder essen konnte, hat sie mich mit Kuchen oder Eis gefüttert.“ Carola war traurig, dass sie ihrer Familie nichts sagen oder ihnen Zeichen geben konnte: „Ich dachte, dass das ein Nebeneffekt meiner Krankheit ist, weil ich gar nicht wusste, was Wachkoma ist, und dass ich das habe.“

Es dauerte viele Jahre, bis Carola wieder halbwegs die Kontrolle über ihren Körper zurück erobert hatte: „Es dauerte Jahre, bis ich wieder sprechen und gehen konnte. Die Tage waren gleichförmig, aber ich störte mich nicht daran. Ein Zeitgefühl hatte ich nicht. Glücklicherweise war ich durch die Medikamente sediert. Das Leben zog an mir vorbei, lange war ich mit meinen Gedanken allein.“ Ein Zustand, den man sich gar nicht ausmalen kann. Sie berichtete, dass zunächst Erinnerungen zurückkehrten. Auch, dass sie im Krankenhaus war, realisierte sie erst spät. „Interessanterweise kamen nur die positiven Erinnerungen. Von den Schmerzen, den Wehen, der Beerdigung meines Vaters während dieser Zeit bekam ich nichts mit. Mein Gehirn ließ das nicht zu. Es weigerte sich, negative Dinge aufzunehmen.“

Die Ärzte hatte Carola bereits aufgegeben

Sie blätterte gemeinsam mit ihrer Familie in Fotoalben, versuchte, ihr Leben zu rekonstruieren. Eine offenbar wichtige Maßnahme, denn so konnten die gesunden Zellen in Carolas Gehirn die Funktion der toten Zellen übernehmen. Dass einer der Ärzte sie schon aufgegeben hatte, erfuhr Carola auch erst später. Man ging nicht davon aus, dass sie je wieder gehen oder stehen könnte. Das Pflegepersonal ließ Carola allerdings nichts davon spüren: Man versuchte, ihr jeden Wunsch von den Augen abzulesen. Und das, obwohl Carola keinerlei Mimik zeigen konnte. Nach und nach konnte sie sich wieder verständigen, ihre Augen wurden groß, wenn etwas spannend war, ihre Mundwinkel schoben sich nach oben, wenn sie etwas lustig fand. Viele dachten jedoch, es wären einfach Zuckungen.

2007 wurde Carola in ein Pflegeheim eingeliefert, in der Annahme, dass sie dort sterben würde. Sie war die Jüngste im Heim und war aufgrund ihrer hohen Medikamentendosis oft müde und gähnte – weshalb man ihr mehrmals täglich den Kiefer wieder einrenken musste. Die Dosis wurde verringert und Carola erwachte aus dem Koma.

Anfangs konnte sie sich per Zeichensprache verständigen, erst da verstand man, dass Carola seit langem mitbekam, was um sie herum passierte. Bis sie wieder reden konnte, vergingen allerdings Monate. Seit 2011 lebt Carola nun in ihrer eigenen Wohnung, ihre Tochter ist mittlerweile 11 Jahre alt und lebt beim Vater, mit dem Carola nicht mehr zusammen ist. „Wir haben ein gutes Verhältnis. Ich bin nicht eifersüchtig auf die neue Freundin meines Mannes, es ist alles gut so. Ich freue mich sogar, dass sie für meine Tochter da ist. Ich war einfach zu lange weg. Aber dafür kann ich ja nichts“, sagt sie.

2015 ist ihr Buch erschienen: Mein Leben ohne mich. Wie ich fünf Jahre im Koma erlebte. Erhältlich bei Thalia.