Egal in welchem Stadium einer Partnerschaft man sich gerade befindet, Kommunikation spielt in Beziehungen IMMER eine wichtige Rolle – wenn nicht sogar die wichtigste Rolle überhaupt. Dazu zählt auch, offen über sexuelle Wünsche oder Fantasien zu sprechen. Warum das vor allem auch zu Beginn einer Beziehung besonders wichtig ist?

Wir haben mit Bumble-Sexologin Chantelle Otten über Sexualität in Beziehungen und die Wichtigkeit von Sexualkunde gesprochen. Und uns Tipps für Gespräche mit der Partnerin oder dem Partner über das gemeinsame Sexleben geholt.

Wenn es darum geht, über sexuelle Bedürfnisse zu sprechen, haben oft junge Menschen Schwierigkeiten damit. Warum ist das so?

Chantelle Otten: „Ich denke, es gibt keine angemessene Sexualerziehung. Vieles, das junge Menschen über Sex lernen, basiert also normalerweise auf Pornografie. Wenn sie in der Schule oder in ihrem Umfeld nicht die richtigen Gespräche über Sex führen, können sie nur lernen, indem sie online gehen. […] Aber Sex ist chaotisch und Sex ist unvollkommen und Sex ist definitiv nicht das, was wir in Pornos sehen. Eine sex-positive Figur in deiner Community oder online zu haben, ist also super wichtig. Denn wenn wir nicht darüber sprechen oder darüber lernen und nicht wissen, wohin wir uns wenden sollen, entstehen Unsicherheiten. Außerdem denke ich, dass unsere Gesellschaft – trotz der sexuellen Revolution – wieder konservativer wird.“

Was fehlt aktuell im Aufklärungsunterricht an Schulen?

Chantelle: „Aufklärung über Zustimmung. Und Lustempfinden. Mit Aufklärung über Lustempfinden meine ich zum Beispiel darüber zu sprechen, was sich im eigenen Körper gut anfühlt. Wir müssen weg von ‚Sex ist Penis in der Vagina‘ – denn das ist nicht Sex. Das betrifft zum Beispiel einen großen Teil der LGBTQIA+ Community. Oder Menschen mit unterschiedlichen Fähigkeiten, sexuelle Schmerzen, Erektionsstörungen – wir alle haben Sex auf unterschiedliche Weise. Daher ist es wichtig, den Blick darauf zu erweitern, was Sex eigentlich ist. Außerdem sind Grundlagen wichtig, wie zum Beispiel die Anatomie, Wörter wie Vulva – also die richtige Terminologie. Oder die Tatsache, dass die Klitoris der Schlüssel zum Vergnügen ist, wenn man eine Vulva hat, und die Tatsache, dass man viel Zeit damit verbringen muss, Erregung aufzubauen. Es ist zudem besonders wichtig, dass junge Menschen schon sehr früh lernen, Grenzen zu setzen und ihre eigenen Wünsche und Bedürfnisse auszudrücken.“

Warum ist es so wichtig, in Beziehungen von Anfang an offen über sexuelle Wünsche und Fantasien zu sprechen?

Chantelle: „Am Ende des Tages wollen wir mit jemandem kompatibel sein, und wir wollen auch wissen, wissen, was der Partner oder die Partnerin will. Wenn du dich ausdrücken oder verletzlich sein kannst – dann ist das wunderbar. Wie die Ergebnisse einer aktuellen Bumble-Studie zeigen, fühlt sich etwa die Hälfte wohl dabei, offen über sexuelle Bedürfnisse zu sprechen. Aber nur 14 Prozent geben an, mit ihrem Sexleben zufrieden zu sein. Für mich ist das sehr bedenklich. Denn das ist nur jeder Siebte. Das ist nicht ok. Wir sollten alle ein befriedigendes Sexleben haben.

Was fehlt in dieser Gleichung, wenn es um diesen Teil der Gesellschaft geht? Ich bin mir noch nicht sicher, aber ich glaube, ich bekomme eine sehr gute Vorstellung davon, dass niemand wirklich über sein Sexualleben spricht. Und niemand redet wirklich darüber, was er oder sie will oder braucht. Oder viele wissen zum Beispiel nicht, ob es Sexolog:innen in ihrer Umgebung gibt, die ihnen dabei helfen könnte. Es scheint noch viel zu tun zu sein. Ich denke auch, dass das Ausdrücken der eigenen Wünsche und Bedürfnisse der Person, die man datet, zeigen kann, dass man empowered genug ist, über die eigene Sexualität zu bestimmen.“

Was sind deine Top-3-Tipps, um mit dem Partner oder der Partnerin ein Gespräch über sexuelle Wünsche zu beginnen?

Chantelle: „Das ist eine super Frage! Denn oft ist es am schwersten, mit dem eigenen Partner oder der Partnerin über dieses Thema zu sprechen. Ich denke Artikel wie dieser hier können hilfreich sein, denn die kann man an den Partner, die Partnerin schicken oder mit ihm/ihr darüber sprechen, was man beim Lesen gelernt hat. Ich ermutige auch viele Leute, meine Instagram-Posts an ihre Partner zu senden, damit sie sich etwas Zeit nehmen können, um sie zu verdauen.

Wenn wir über Sex sprechen, sollten wir am besten die Sandwich-Methode anwenden. Also zuerst mit einem Kompliment beginnen, dann darüber sprechen, was man will, und dann wieder mit einem Kompliment abschließen – zum Beispiel: ‚Ich liebe es, wenn du das machst …, ich würde mich wirklich freuen, wenn du mehr Zeit da unten verbringen würdest, aber wow, was du heute Morgen mit deinen Händen gemacht hast, war richtig gut!‘

Wir müssen darauf achten, viel positive Bestärkung zu verwenden, wenn wir über Sex sprechen, denn wir wollen nicht, dass jemand dafür schämt, was er im Schlafzimmer tut oder wie er sich im Schlafzimmer benimmt. Wir müssen alle irgendwie lernen. Denn wir werden nicht auf magische Weise zu sexuellen Wesen, die wirklich gut sind.“

Was ist, wenn sich das Gegenüber durch die geäußerten Wünsche eingeschüchtert fühlt? Wie kann man am besten reagieren oder weitermachen?

Chantelle: „Es ist wichtig zu kommunizieren, dass das etwas ist, an dem man selbst interessiert ist, aber es kein Muss für den Partner oder die Partnerin ist, ‚ja‘ dazu zu sagen. Auch ein ‚vielleicht‘ oder ein ’nein‘ fürs Erste, sind ok. Wichtig ist in erster Linie, dass der Wunsch geäußert und nicht unter den Teppich gekehrt wird.

Es ist wichtig zu sagen ‚das ist etwas, das ich wirklich tun möchte, vielleicht können wir gemeinsam herausfinden, wie das aussehen könnte und gemeinsam genauer recherchieren, oder vielleicht können wir ein Spielzeug kaufen, um uns dabei zu helfen, und wir können die Sache langsam angehen und müssen nicht gleich alles richtig machen.‘ Es kann sein, dass der Partner oder die Partnerin ein klares Nein äußert – und dann muss man selbst entscheiden, ob das ein Dealbreaker ist oder ob man das vielleicht außerhalb der Beziehung ausprobieren will. Die Daten aus der Bumble-Studie zeigen übrigens auch, dass immer mehr Menschen Interesse an ‚Sexploration‘ haben. Etwa 42 Prozent experimentieren beim Daten und versuchen Sex weniger als Tabu zu behandeln. Das zeigt definitiv eine progressive Entwicklung!“

Bedeutet schlechter Sex automatisch, dass die Beziehung schlecht ist?

Chantelle: „Da stimme ich nicht unbedingt zu. Es gibt viele Menschen, die schöne Beziehungen haben, die aber mit ihrem Sexleben zu kämpfen haben. Das ist total normal. Du kannst jemanden lieben und jemanden begehren oder du kannst jemanden lieben und ihn nicht begehren, oder du kannst jemanden begehren und ihn nicht lieben. Aber ich denke nicht, dass wir so hart zu Menschen sein sollten, die eine herausfordernde Zeit im Schlafzimmer haben, denn man kann an allem arbeiten. Es geht nur darum, die richtige Person zu finden, die einem dabei helfen kann.“

Hast du einen Ratschlag, den du gerne jedem sexuell aktiven Menschen mit auf den Weg geben würdest?

Chantelle: „Bleibt neugierig. Oft verlieren wir unsere Neugier und wir sind überzeugt davon, dass wir wissen, was unsere Partner:innen oder unsere Dates wollen und brauchen, ohne sie direkt danach zu fragen. Wir gehen einfach davon ausgehen, dass wir es bereits wissen. Aber die Meinungen der Menschen ändern sich und die Menschen entwickeln sich auf unterschiedliche Weise, und es gibt so viel, was wir voneinander lernen können. Wenn wir nicht neugierig bleiben, können wir das nicht. Also ich würde einfach sagen, bleibt neugierig, bleibt offen, schreibt Dinge nicht gleich ab. Redet darüber!“

Chantelle Otten ist eine australische Sexologin und Beziehungsexpertin. Sie ist Bestsellerautorin von „The Sex Ed You Never Had“ und Botschafterin von Bumble und Lovehoney Australia. Als führende Sexual- und Beziehungstherapeutin hat sie es sich zur Aufgabe gemacht, Gespräche zu eröffnen, die normalerweise als „tabu“ gelten, und sie zu einem unterhaltsamen, angenehmen Gesprächsthema zu machen. (Bild: Chantelle Otten)