Italien ist derzeit der europäische Hotspot der Coronavirus-Krise. Wie kam es dazu und was können andere Länder davon lernen?

Knapp 25.000 Infizierte meldete Italien am Montag, den 16. März, vormittags. Das Land hat bereits mehr als 1800 Todesopfer zu beklagen – damit ist klar: Italien ist der Hotspot in Europa, was die Coronavirus-Krise betrifft. Und Staatschef Giuseppe Conte hat bereits gewarnt, dass der Höhepunkt noch gar nicht erreicht sei. Zugleich hat er andere EU-Länder dazu aufgerufen, gemeinsam Maßnahmen zu setzen, damit die schreckliche Krankheit nicht noch mehr Opfer fordert.

Besonders schlimm ist die Lage in der Lombardei mit der Hauptstadt Mailand. Die Spitäler und sonstigen Gesundheitseinrichtungen sind heillos überlastet, Patienten müssen in Zelten behandelt werden oder haben gar keine Chance auf eine ordentliche Therapie. Leichen werden verbrannt, denn Begräbnisse wurden verboten. „Es herrschen Kriegszustände“, berichten völlig erschöpfte Ärzte und Pfleger. Sie müssen Entscheidungen über Leben und Tod treffen: Wer kann behandelt werden, wer muss weggeschickt werden? Wer bekommt den letzten Sauerstoff, den es noch gibt? Wer muss wieder heim, obwohl er sterbenskrank ist?

Wendepunkt 9. März

Wie konnte es so weit kommen? In Medienberichten wird der 9. März als Datum angegeben, an dem die Menschen endlich und viel zu spät begriffen haben, wie schlimm die Lage sein könnte und welche Folgen eine Ansteckung haben wird. Davor waren viele Italiener einfach sorglos: In Bars wurde getratscht, auf Plätzen hielten sich Menschen an den Händen, in Supermärkten wurde wie sonst auch eingekauft, vor dem Mailänder Dom sammelten sich die Touristenmassen. Heute wird berichtet, dass jüngere Menschen sogar zu mehr persönlichem Kontakt aufgerufen hatten: „Treffen wir uns im Freien!“ Aber die Schuld auf Jüngere zu schieben, wäre zu einfach und falsch – quer durch alle Altersklassen wurde die Gefahr verleugnet. Dann kam der 9. März: Als es an diesem Tag 16 Tote innerhalb weniger Stunden gab, reagierten die Behörden endlich drastisch und die Italiener begriffen: Es kann uns alle treffen!

Das wirtschaftlich ohnehin angeschlagene Italien, das von einer Regierungskrise zur nächsten stürzt, hat jetzt mit den Folgen der Unentschlossenheit zu kämpfen. Stündlich steigt die Zahl der Toten, die Todesrate ist mit knapp 9 Prozent erschreckend hoch – fast jeder 10. Infizierte stirbt also. Nicht mal in China war die Rate dermaßen hoch. Was sind, abgesehen von der anfänglichen Ignoranz von Behörden und Bevölkerung (die aber beispielsweise im österreichischen Ischgl ähnlich ausgeprägt war) also die Gründe, dass der Coronavirus Italien im Griff hat?

  • Italien ist uns 10 bis 12 Tage voraus: Was in Italien jetzt passiert, könnte in ähnlicher Form schon bald in anderen Ländern geschehen – sofern es in diesen nicht viel drastischere Maßnahmen gibt. Schon Ende Jänner wurde die Infektion über chinesische Touristen erstmals bekannt, die rasch abgeschottet wurden. Doch in Landesteilen im Norden, vor allem eben in der Lombardei, kam es über Wochen offenbar zu einer schleichenden Ausbreitung. Unbemerkt hat sich der Coronavirus dort vermehren können – unter anderem über Touristen.
  • Schlechtes Gesundheitssystem: Die chronisch unterfinanzierte, schlechte ausgestatteten Gesundheitseinrichtungen können den Ansturm der Infizierten nicht bewältigen. Schon im Normalzustand ist es in Italien schwer, eine ordentliche Behandlung zu bekommen – das rächt sich nun.
  • Überalterte Bevölkerung: In keinem anderen Land in Europa ist das Durchschnittsalter der Menschen so hoch wie in Italien. Das zeigt zwar einerseits, dass die Italiener gesund leben, doch weil der Virus vor allem alten Menschen gefährlich wird, ist Italien stark betroffen. Dazu kommt, dass in Italien traditionellerweise mehrere Generationen in einer Familie und zusammen leben. Das vermehrt das Infektionsrisiko weiter.

Coronavirus in Italien: Wie geht es weiter?

Die drastischen Maßnahmen sollen nach Ansicht von Experten schon bald Wirkung zeigen. Wie lange das dauern wird, kann aber noch niemand sagen. Entscheidend wird auch sein, wie stark auch südliche Landesteile betroffen sein werden – im Süden ist das Gesundheitssystem teils noch maroder als im (vergleichsweise reicheren) Norden. Andere Länder können auch nicht helfen, weil sie selbst alle Ressourcen benötigen. Inzwischen muss Italien auch erkennen, dass sich die Hilfsbereitschaft anderer EU-Länder in Grenzen hält – die schauen lieber, dass sie selbst zurechtkommen. „Wir merken uns das“, schreibt ein Twitter-User aus Italien. Insofern könnten die Coronavirus-Krise auch ein Belastungstest für die EU werden: Glauben die Menschen noch an die Union oder verlieren sie nach diesen dramatischen Zuständen den Glauben?