Nach dem polarisierenden Ende von Game Of Thrones ist HBO nun erneut in aller Munde. „Chernobyl“ kam gefühlt aus dem Nichts und sitzt aktuell stolz auf Platz Eins der bestbewerteten Serien auf imdb.com. Dabei sollte die Geschichte für die meisten (hoffentlich) nichts Neues sein. In fünf knapp einstündigen Episoden arbeitet Regisseur und Drehbuchautor Craig Mazin (welcher kurioserweise auch für die Drehbücher von Scary Movie 3 und 4, sowie Hangover 2 und 3 verantwortlich ist) auf, wie es zur Explosion in dem Atomkraftwerk kam, wer Schuld trägt und wie die damalige Sowjetunion mit der Katastrophe umgegangen ist.

Das Drehbuch konzentriert sich hauptsächlich auf drei Schlüsselfiguren. Den Wissenschaftler Valery Legasov (fabelhaft gespielt von Jared Harris), der als Berater für die Aufräumarbeiten und die Ermittlung der Ursache herbeigerufen wird, den Leiter der Regierungskomission Boris Shscherbina und die fiktive Nuklearphysikerin Ulana Khomyuk, welche laut Mazin stellvertretend ist, für alle Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, die an der Aufdeckung der Katastrophe beteiligt waren. Aus diesen Perspektiven bekommt der Zuschauer unfassbare Entscheidungen mit, die unter anderem dazu führen, dass die nur wenige Kilometer entfernte Arbeiterstadt Pripyat erst 36(!) Stunden nach dem Unglück evakuiert wird und dadurch mehr als 50.000 Menschen lebensgefährlicher Strahlung ausgesetzt werden. Chernobyl ist eine Geschichte über das Versagen eines politischen Systems und den Folgen, mit denen die Bürger anschließend zu kämpfen haben.

Überraschender Aufbau

Genre-untypisch wird in „Chernobyl“ nicht zuerst aufgebaut und langsam zum Unglück hingeführt. Die Mini-Serie startet stattdessen direkt mit der Explosion von Reaktor 4 und fühlt sich dann eher wie ein Krimi an. Es werden Hinweise gefunden, Beweise verknüpft und im krönenden Finale dann in einer Gerichtsverhandlung Minute für Minute der Ablauf rekonstruiert, der zur als unmöglich geglaubten Explosion führte. Dies ist ziemlich befriedigend und mahnt mit einer schönen Schlussbotschaft: „Lügen haben ihren Preis und werden irgendwann zum Verhängnis.“

Valery Legasov und Boris Shscherbina
Bild: HBO/ hbo.com/chernobyl

Faktualität hatte absolute Priorität

Mazin rekreiert die Soviet-Union der Achtziger Jahre so akkurat, dass es beim Vergleich mit Archiv-Aufnahmen teilweise schwer fällt, die Serie von der Realität zu unterscheiden. Eine realitätsnahe Darstellung hatte höchste Priorität. Wie dem eigens von HBO produzierten Podcast zur Serie (stark zu empfehlen!) zu entnehmen ist, beruht jedes Ereignis auf Tatsachen, nur hin und wieder wurden Kleinigkeiten abgeändert (so ist der Helikopter erst Monate später abgestürzt). Diese Faktualität macht die Serie zu einem der unvergesslichsten und schockierendsten Erlebnisse der letzten Jahre. Szenen wie beispielsweise in Episode 4, in der gezeigt wird, wie einberufene Männer in kleinen Trupps und mit selbstgebastelter Schutzausrüstung auf ein Dach geschickt werden, um dieses in 90 Sekunden von lebensgefährlich verstrahlten Graphit-Stücken zu bereinigen, sind an Intensität und Angstgefühl kaum zu übertreffen. Ohne Schnitt begleiten wir einen jungen Mann, der sich panisch auf dem Dach orientiert und anschließend hoch-radioaktive Steine vom Dach schaufelt bis ein Ton signalisiert, dass die Zeit um ist und er zusammen mit seinen Kameraden Richtung Treppenhaus flüchtet. Im Hintergrund ein gespenstischer Soundtrack, welcher durch das angsteinflößende Kratzen des ausschlagenden Geiger-Zählers noch mehr verstärkt wird. Gestaltet wurde diese musikalische Ebene übrigens von der isländischen Komponistin Hildur Guðnadóttir, welche den Soundtrack aus ausschließlich in einem Atomkraftwerk in Litauen aufgenommenen Geräuschen gemischt hat. Einziger „Kritikpunkt“ ist die englische, beziehungsweise deutsche Synchronisation, welche durch die Absenz der russischen Sprache oder zumindest eines russischen Dialekts zu Beginn etwas an der Immersion kratzt, vom Regisseur im Podcast aber dadurch begründet wird, dass die Schauspieler sich weniger auf die Gefühle konzentrieren können, wenn sie permanent einen Dialekt nachahmen müssen.

Mein Fazit

„Chernobyl“ ist eine Meisterklasse des Doku-Dramas und schafft es, eine der schlimmsten Katastrophen der Menschheitsgeschichte wieder in das kollektive Gedächtnis zu rufen und vor den Gefahren einer von Propaganda und Lügen gelenkter Politik zu warnen. Ein Thema, welches auch heutzutage leider wieder durchaus relevant ist. Zu sehen auf Sky Original.