Der Zucker und ich: eine verhängnisvolle Affäre, seit ich im Alter von drei Jahren mein erstes Dessert in Form von Vanilleeis bekam. Nach der Erzählung meiner Eltern ein orgastischer Genuss aus „Mmhms!“ und „Oooohs!“. Kein Wunder: Industrielle Naschereien waren im supergesunden Ökohaushalt meiner Mama rar. Noch weniger wundert’s, dass ich für eine Handvoll Süßes alles gab. Selbst vor kleinkriminellen Handlungen schreckte ich nicht zurück. Die verbotene Frucht in Form von Schoko und Gummizeug war da und musste so schnell wie möglich weg – in meinen Bauch. Bis heute hat sich daran nichts geändert. Deshalb vermeide ich es, diese Dinge zu kaufen oder daheim zu haben.

Doch an meinem Arbeitsplatz wimmelt es nur so vor lauter Schokobananen oder Karamell-Erdnussbutter-Snips. Mein täglicher Zuckerverbrauch umfasst mittlerweile eine halbe Tafel Schokolade – der versteckte Zucker in Fertiggerichten, Weißbrot und Saucen ist hier noch nicht inkludiert. Ja, mein Leben als Zuckerjunkie gleicht einer Achterbahnfahrt. Ich fühle mich schlapp und leide unter Heißhungerattacken. Auch im Schlaf finde ich keine Ruhe, und meine Haut hat beschlossen, wieder pickelig wie zu Teenagerzeiten zu sein. Jetzt habe ich genug: Ich will runter vom Zucker und gehe auf Entzug!

Zuckerfrei glücklich?

Meine Bibel für die nächsten Wochen ist der Bestseller „Goodbye Zucker – Zuckerfrei glücklich in 8 Wochen“ von Sarah Wilson. Die Amerikanerin verspricht ein gesünderes Leben, mit klarem Geist und reinem Körper. Sie selbst ist die beste Werbung dafür, deshalb visualisiere ich mich gleich als gesunde, energetische Yogini, mit Matcha-Tee in der Hand und ganz mit mir selbst im Reinen. Dass ich die Vollmilchschoko mit ganzen Haselnüssen (mein Liebling) ganz easy ablehne, ist ja wohl klar. Bis dahin ist es aber noch ein weiter Weg. Um die Abhängigkeit zu überwinden und den Körper neu einzustellen, muss ich für die nächsten Wochen auf jegliche Form von Zucker verzichten. Nach Abschluss des insgesamt achtwöchigen Programms darf ich wieder etwas Obst und gesündere Alternativen zum Haushaltszucker zu mir nehmen.

Woche 1

In der ersten Woche empfiehlt Wilson ein paar einfache, unkomplizierte Veränderungen. Die sollen den Einstieg erleichtern, den Darm auf die Umstellung vorbereiten und so Heißhungerattacken abwehren. Ich nehme Roggenbrot statt Salzstangerl, packe mehr Milch als Zucker in den Kaffee und trinke Wasser statt Saft. Ein Glas Apfelsaft enthält nämlich 10 bis 12 Teelöffel Zucker (übrigens genauso viel wie Cola). Vor allem ersetze ich aber Industriezucker durch gesündere Alternativen wie Agavensirup, Datteln und Äpfel. Am ersten Tag gebe ich mich willensstark. Immerhin habe ich mein Projekt in der Redaktion angekündigt und stehe unter der (sehr wachsamen!) Beobachtung meiner Kolleginnen (natürlich selbst allesamt Zuckerjunkies und noch nicht bereit, sich ihre Sucht einzugestehen). In mir sieht es freilich
anders aus: Meine Gedanken kreisen ständig um den Süßkram, der drei Meter Luftlinie von meinem Schreibtisch entfernt ist. Das Buch rät: Anstatt sich auf die Dinge zu konzentrieren, die man nicht essen darf, soll man an die guten, erlaubten Sachen wie Studentenfutter denken. Gesagt, getan. Wer braucht denn schon Schoko, die er schon Tausende Male gegessen hat? Ich beiße die Zähne zusammen und meine innere Yogini nickt mir aufmunternd zu!

Woche 2

Die Entgiftungsphase beginnt. Laut dem Programm ersetzt man dazu Zucker durch Fett. Wie bitte, fragt ihr? Gesunde Fette und hochwertige Proteine sättigen und stillen das Verlangen, zu naschen. Nicht das Fett macht uns fett, sondern Zucker! Das, was man weglässt, ersetzt man durch vollwertige, unverarbeitete Fette und hochwertige Proteine in Form von Eiern, Käse, Nüssen und Kokosprodukten. Also brate ich mit Kokosöl und peppe den Salat mit reichlich Olivenöl und Ziegenkäse auf. Die Milchprodukte genieße ich mit vollem Fettgehalt und das morgendliche Frühstücksjoghurt verfeinere ich mit Nüssen, Vanille und Zimt. Im Restaurant bestelle ich statt des Desserts jetzt brav die Käseplatte. Und wieder: Nach außen schlage ich mich ganz gut, aber in meinem Kopf herrscht Krieg. Zwei Seelen schlummern in meiner Brust. Während die innere Yogini mich anfeuert, rät mir mein Alter Ego zum Aufgeben. Ich leide unter pochenden Kopfschmerzen – und da ist auch schon die nächste Heißhungerattacke im Anmarsch. Ich brauche dringend Hilfe und blättere in meiner „Bibel“: Sarah empfiehlt, eine große Tasse warmen Tee mit Milch zu trinken oder einen dicken Löffel Mandelmus zu essen. Nach 20 Minuten soll der Anfall vorbei sein. Ich nehme Tee und Mandelmus. Bei Minute 8, in einem kurzen Moment der Schwäche, reiße ich sämtliche Küchenregale auf und ziehe mir die künstliche Zuckerkeksverzierung (mit Ablaufdatum 2013) rein. Alter Ego hat gewonnen, die innere Yogini schämt sich.

Woche 3

Mit Müh und Not schaffe ich es in die dritte Woche. Jetzt soll auf jede Form von Zucker verzichtet werden. Ich habe zwar seit zwei Wochen (Okay, ein kleiner Ausrutscher!) kein Naschzeug angerührt, aber die Müdigkeit ist geblieben. Der Zucker hat nur die Form gewechselt. Denn die chemische Zusammensetzung, egal ob in Schokolade oder Mango, bleibt dieselbe – und die macht süchtig. Mein schlaues Buch lehrt mich: Der Feind ist nicht der Zucker, sondern Fruktose. Das lässt sich am besten mit unseren Vorfahren, den Höhlenmenschen, erklären: Zucker war bei den haarigen Herrschaften rares Gut. Konnten die sich mal den Bauch bei einem Busch voller Beeren vollschlagen, wurde die Fruktose direkt in Fett umgewandelt. Damals ein lebensnotwendiger Trick der Natur – in der heutigen Überflussgesellschaft ein Problem. Das ist jedoch nicht alles. Zahlreiche Studien belegen: Fruktose schwächt das Immunsystem, stört die Aufnahme von Mineralstoffen, beschleunigt den Alterungsprozess und kann auch zu Konzentrationsverlust führen. Das Zeug muss schleunigst aus meinem System! Im Supermarkt steuere ich gezielt die gesunde Hummusecke an und stelle entsetzt fest: Der Zucker lauert überall! In meinem abgepackten veganen Bio-Chili, der „supergesunden“ Linsensuppe und meiner Müslimischung. Zuckerfreie Fertigprodukte zu finden ist wie die Nadel im Heuhaufen zu suchen. Keine Ahnung, wie das zeitlich unter einen Hut zu bringen ist, aber am Kochen komme ich wohl nicht vorbei. Im Buch sind zum Glück leckere Rezepte ohne komplizierte, nicht auffindbare Zutaten. Allesamt auch gluten- und getreidefrei, da die Stärke aus Getreide die Zucker­abhängigkeit fördert.

Woche 4 bis 5

Das straffe Programm geht weiter. Ich komme ganz gut klar, selbst am Kochen finde ich mittlerweile Gefallen. Auch in meinem Kopf scheint man sich vorerst auf Waffenruhe geeinigt zu haben. Troubles kommen jetzt dafür von unerwarteter Seite: Plötzlich muss ich mein Vorhaben vor anderen verteidigen! Besonders hart sind die Wochenenden. Mein alkohol- und glutenfreies Bio-Bier bringt mich als Partymaus in eine komische Situation. Ich komme mir wie eine spießige Spaßverderberin vor. Ob diese Diät nun neun Monate dauern würde, fragt mich eine Freundin. Auch Autorin Wilson weist darauf hin, dass das Umfeld oft brüsk auf eine Ernährungsumstellung reagiert. Ihr Rat: kontern! Also, sorry, Leute, ich bin nicht krank oder schwanger, ich mache das aus purer Eitelkeit. Nur für mich, weil ich es kann. Ich mag vielleicht eine Spaßbremse sein, aber meine Haut strahlt wie ein Babypopo, und wenn ihr morgen das erste Aspirin einwerft, war ich schon eine Runde laufen. Haha! Das hat gesessen. Auch bei den Kolleginnen bin ich derzeit nicht sehr beliebt. Dabei wollte ich sie nur höflich darauf hinweisen, dass die Bananen, in die sie gerade beißen, vier Teelöffel Zucker enthalten. Stellt euch mal vor: Datteln und Rosinen bestehen zu fast 70 Prozent aus Zucker! Rein biologisch verträgt unser Körper ungefähr so viel Zucker, wie in zwei Stücken Obst vorhanden ist. Das sind etwa fünf bis sechs Teelöffel. Mit dem versteckten Zucker im Frühstücksmüsli und dem Mittagessen liegt man da schnell drüber. Vitamine holt man sich daher besser in Form von Gemüse.

Woche 6 bis 7

Schön langsam wird’s zur Routine. Laut Studien dauert es rund 21 Tage, eine Gewohnheit abzulegen. Mit jedem neuen Tag, an dem wir weitermachen, verfestigen wir in unserem Gehirn, den Zellen und Hormonen unsere neue Gewohnheit. Sarah verspricht: Es ist wie bei einem Muskel – je mehr wir trainieren, desto stärker werden wir. Ich habe kein Verlangen mehr nach Süßkram. Die Entgiftungs- und Entwöhnungsphase liegt hinter mir. Nicht mal die Lieblingsschoki reizt mich. Viel mehr Lust habe ich dafür auf leckeren Smoothie – und den darf ich jetzt auch trinken. Naschen ist ab Woche 6´wieder erlaubt! Ich darf aber nur mit süßem Geschmack experimentieren, zum Beispiel mit Obst mit geringem Fruktosegehalt wie Kiwis oder Blaubeeren. Auch bei gesunden Zuckeralternativen wie Stevia oder Xylitol (Birkenzucker) heißt es in kleinen Mengen „Daumen hoch!“ Meinen Smoothie motze ich mit Aromen wie Vanillepulver, Zimt und Mandelmilch auf.

Woche 8

Juhuu, ich bin clean! Mein von Zucker getriebenes Leben vermisse ich null. Das Gefühl, selbst entscheiden zu können, wie viel Zucker ich zu mir nehme, ist spitze! Ich versuche, neugierig und experimentierfreudig zu bleiben und achte darauf, dass mein Körper nahrhaftes Essen und genügend Energie bekommt. Mein Bauch ist nicht mehr so aufgebläht, der Kopf ist viel klarer. Ich schlafe besser. Nach dem Essen fühle ich mich schön gesättigt, ohne dieses müde, schwere Völlegefühl. Vergesst Diäten! Der Feind Nummer 1 für Speckröllchen, Krähenfüße und Müdigkeit ist Zucker! Am wichtigsten ist aber: Bei Patzern bin ich nachsichtiger mit mir und auch mein Partyleben muss nicht leiden. Bier, trockener Wein und Schnaps haben nur wenig Zucker. Außerdem habe ich festgestellt, dass nicht immer der Alkohol mir einen mörderischen Hangover beschert hat, sondern der Mix aus Alkohol und Fruktose – wie in Cocktails. Generell bin ich aber nicht militant. Wenn ich essen gehe, frage ich nicht nach den Zutaten – und wenn mir Pizza angeboten wird, nehme ich sie dankend an. Mein Umfeld und mein Alter Ego danken es mir mit einem breiten Grinsen. Und meine Yogini grinst natürlich zurück.